Ein Menschentraum
Was haben Hans Christian Andersen und Peer Gynt gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts außer ihrer nordeuropäischen Herkunft. In seiner Andersen-Inszenierung stellt das Ensemble Tityre dem ichbesessenen und von Selbstzweifeln zerfressenen Dänen den norwegischen Naturburschen zur Seite, dessen Unerschrockenheit Andersen gut gestanden hätte.
Andersen, Sohn eines Schusters und einer Wäscherin, muss sein Leben lang um Anerkennung betteln, was ihn zu einem nicht immer gemochten Zeitgenossen machte. Sein Kampf um das Recht, als der geliebt zu werden, der er ist – ein Menschentraum – wurde als pure Eitelkeit empfunden. Das von der Gesellschaft empfohlene Gegengift hieß: Erziehung zum Bildungsbürger. Wie frisch und ungehobelt, wie ehrlich und ungekrümmt erscheint dagegen der freche, ungebildete Gynt! Was „Bildung“ im damaligen Europa des Nordens bedeutete, macht das Ensemble Tityre durch seine Gegenüberstellung der beiden Charaktere deutlich und erzählt auf diese Weise vom Verlust der Natürlichkeit, für den Andersens Lebensgeschichte stehen könnte.
Den Kontrast hebt die passend ausgewählte Musik aus dem skandinavischen Raum plastisch hervor: die virtuos-gepflegten Klänge eines Trios von F. Kuhlau klingen im Grunde wie überall sonst in Mitteleuropa – wie schroff dagegen die Tonsprache eines N. V. Bentzon, wie sehnsüchtig-wild die Oboensonate von Trygve Madsen! Edvard Grieg oder Carl Nielsen hingegen vereinen gekonnt skandinavische Motive mit kultivierter Tonsetzung.